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Kulturgießerei Schöneiche WladimirKaminer

Goodbye, Moskau


Wladimir Kaminer

Lesung
Sonntag 14.01.2018
Einlass: 15:00 Uhr
Start: 16:00 Uhr
Rezension

MOZ, 15.1.2018
Bestsellerautor Wladimir Kaminer blickt bei Lesung in Kulturgießerei Schöneiche liebevoll und besorgt auf seine alte Heimat Russland
"Geschichte ist wie eine Katze"
Marion Thomas / 15.01.2018, 19:20 Uhr
Schöneiche (MOZ) Mit einer kleinen Aktentasche unterm Arm stürmt er auf die Bühne, stellt sich neben den für ihn gedachten Vorlese-Stuhl, kramt ein rotes Büchlein und ein paar Zettel hervor und plaudert munter drauf los. Wie von selbst schütteln sich am Sonntagnachmittag seine Geschichten in den prall gefüllten Saal der Schöneicher Kulturgießerei - als ob man sich schon lange kennt und über ein Wiedersehen freut.

Wladimir Kaminer sieht sich beruflich als deutscher Schriftsteller, er sei privat aber ein Russe, und den Akzent hört man auch, obgleich sein Deutsch perfekt in wohlgeformten Sätzen daherkommt. Charmant wickelt er in wenigen Minuten sein Publikum um den kleinen Finger, der Saal hängt an seinen Lippen, um nichts von den mit feinstem Humor gespickten Weltsichten und Lebensweisheiten zu verpassen.

So erzählt er von Frau und Kindern, lieben Nachbarn oder von Episoden im einstigen Schrebergarten, den er aufgeben musste, "weil wir Probleme mit spontaner Vegetation hatten, die dort nicht geduldet wurde". Locker und leicht schwingt er sich vom Alltag zur großen Weltpolitik als bunte Mischung zwischen Party und Weltuntergang. Geschichten finde man ohne Ende, man müsse beispielsweise nur eine Kreuzfahrt machen ...

Schließlich greift Wladimir Kaminer doch zu seinem kleinen roten Buch namens "Goodbye, Moskau" und liest einige Geschichten daraus vor: Anlässlich des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution im vergangenen Jahr blickt er liebevoll, doch auch besorgt auf seine alte Heimat und deren Geschichte, sieht ein Land, das sich selbst sucht. Das kommunistische Experiment sei unter dem Applaus der freien Welt untergegangen, aber die Menschen seien noch da. "Meine Heimat war die Zukunft. 70 Jahre wurde versucht, eine menschliche Gesellschaft aufzubauen. Als sie plötzlich auseinanderbrach, fällt man in die Vergangenheit und will dann eine gemeinsame Zukunft planen, die man ja schon erlebt hat." Kaminer fragt sich, was mit einem Land passiere, das sich weigert, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. "Dann kommen Spinner wie ich. Denn: Geschichte ist wie eine Katze. Wenn man sie nicht rechtzeitig am Schwanz packt, ist sie weg."

So versucht er, mit kleinen Alltagsgeschichten die russische Seele zu ergründen und baut dabei die große Weltpolitik ein. Mittendrin hält Wladimir Kaminer inne, fasst sich an die Stirn: "Da fällt mir ein ...", und erzählt eine neue kleine Geschichte oder einen Witz. Und dann, ohne den Faden zu verlieren, fährt er fort, als ob alles zusammengehöre.

Am Ende nimmt der Bestsellerautor sein Wasserglas und möchte mit den Zuhörern anstoßen: "Wir brauchen mehr Sonne im Winter", sagt er und weiß sich verstanden, dass es nicht um den Wetterbericht ging. "Auf eine friedliche, solidarische Welt in einem gemeinsamen Europa - mit Russland."

Danach signiert er geduldig Bücher, bekommt Komplimente, beantwortet Fragen und lobt Schöneiche: "Ich bin zum ersten Mal hier", sagte er. "Klein, eng und gemütlich. Nah mit den Menschen, wie in einer Küche, wo sich das Leben abspielt und neue Geschichten entstehen."

Schöneiche Konkret, März 2018
Goodbye Moskau
Wladimir Kaminer mit seinem neuesten Buch in der Kulturgießerei
Wie könnte es anders sein? Schon zwei Wochen vor der Lesung alles ausverkauft und am 14. Januar auch der letzte Reserveplatz besetzt. Erwartungsfrohe Stimmung, man weiß, auf wen man sich da freuen kann. Beate Simmerl begrüßte herzlich die vielen Besucher und musste leider erklären, dass der Autor noch mit dem Auto von der Urania in Berlin zu uns unterwegs ist. Eine halbe Stunde Geduld sei nötig. Also ein wenig miteinander plaudern, vielleicht auch einen Kaffee? Es klappte großartig. Kein Unmut, obwohl es schließlich nahezu eine Stunde dauerte, ehe er eintraf. Management und wohl auch er selbst hatten offen-sichtlich die Distanz zwischen Berlin und Schöneiche unterschätzt. Er kam, sprang voller Energie auf die Bühne und begann stehend nach einer etwas zerknirschten Entschuldigung zu erzählen und aus einem Manuskript zu lesen – voller Ironie, Nachdenklichkeit und Humor. Erst einmal etwas aus seiner Familie: Tochter an der Humboldt-Universität Berlin „europäische Ethnologie“ studierend – was ist das? Eine schriftliche Arbeit über italienische Speisegewohnheiten – einschlägiges Studienobjekt, das relativ regelmäßig besuchte italienische Restaurant von nebenan. Erstaunlich die gute Note. Sohn 18-jährig – gerade in der Selbstfindungsphase, die Studienrichtung und das Auslandsjahr betreffend. Einigen Besuchern schienen diese Probleme auch bekannt zu sein. Man lachte erleichtert und verständnisvoll. Dazwischen eine Lebensweisheit: „Hüte dich vor blonden Frauen und Autos, die die Russen bauen.“ Im Allgemeinen schreibt er jährlich zwei Bücher – gern auch über die Familie, zum Beispiel über seine Schwiegermutter in Russland, die einen 60 Jahre alten, aber im Wesentlichen noch funktionierenden SIL-MOSKAU-Kühlschrank besitzt – auch wenn er nachts an Schlachten erinnere, bedenkliche Geräusche von sich gebe. Dieser Kühlschrank gilt als atomstrahlensicher – in Zeiten des Kalten Krieges für alle Eventualitäten zum Überleben ausgerüstet. Nun im Internet für 3.000 Dollar gehandelt. Ein bisschen Magie, ein bisschen Traum und Verzweiflung sind dabei. Die großen Siege, auch einhundert Jahre Oktoberrevolution. Dann greift er zum Manuskript: Kreuzfahrer (von heute?). Einerseits die Kreuzfahrtschiffsreisenden, zum Beispiel auf der „Aida“, und die anderen, die aus Not über das Mittelmeer kommen in ihren unsicheren Booten und auch den Tod in Kauf nehmen, um die europäische Küste zu erreichen. Drei Wochen „Aida“, drei Wochen Menschen, die sich dauernd begegnen müssen – Geschichten, Gespräche, Beobachtungen – eine fabelhafte Inspirationsquelle, leider nur möglich, wenn er drei Wochen auf der „Aida“ unterwegs ist. Nach etwa einer Stunde fragte er, immer noch stehend: „Wie wäre es mit einer Pause?“ Die hätte ihm sicher gut getan, aber eine freundliche Frauenstimme aus dem Publikum meinte: „Ach – die Pause hatten wir doch schon.“ Er lachte, und ohne nur eine Sekunde zu zögern, las er stehend weiter. Diesmal wieder aus seinem Buch „Goodbye Moskau“. „Die Demos meines Lebens.“ Danach „Warten auf Kuba“. Seine Kindheit und Jugend in der Sowjetunion – ein stolzes Land, Sieger über Hitler-Deutschland, ein Land mit einer großen Zukunft – dem Sozialismus/Kommunismus – allerdings immer weit hinten am Horizont, eben in der Zukunft – ein Glaube, der viele alltägliche Einschränkungen – Wohnung, Versorgung, steter Mangel – einschloss, Opfer für andere, eben gelebte Solidarität. Stolz, wenn andere Völker auch den gleichen Weg beschritten. Eines Tages würde es soweit sein, alle würden glücklich und in Frieden leben. Dann der Zusammenbruch. Wie kann es weitergehen mit „seinem“ Land, das ihm so fremd geworden ist. Andererseits, so wie die Welt gegenwärtig aussieht, wird es auch nicht gehen. Hat Russland die Zukunft, die es schon einmal hatte, wieder vor sich? Das möchte er auch nicht wünschen. Er strahlt nach fast zwei Stunden – immer noch stehend – Energie und Kraft aus und eine besondere Art von traurigem Humor, heiter und tiefgründig zugleich. Verzweifelt und optimistisch. Am Ende greift er zu seinem Wasserglas, möchte mit allen anstoßen: „Auf eine friedliche, solidarische Welt in einem geeinten Europa – mit Russland.“ Herzlicher Beifall. Man würde ihm gern weiter zuhören. Er freut sich über die Zustimmung, entschuldigt sich noch einmal. Danach signiert er Bücher. In das Gästebuch schreibt er: „Ein tolles Publikum, ich fühlte mich verstanden.“
Christina Felber

Autorenlesung mit Wladimir Kaminer

Wladimir Kaminer blickt anlässlich des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution auf seine alte Heimat und sieht ein Land auf der Suche nach sich selbst. Das kommunistische Experiment ging unter dem Applaus der freien Welt zu Ende, die Menschen aber sind noch da. Und sie brauchen eine Perspektive.
Der Kapitalismus lockt als neues Erfolgsmodell, doch die Russen suchen unter der harten Sonne des Kapitals vergeblich nach einem schattigen Plätzchen. Überall liegen bereits die Handtücher anderer Länder. Statt Wohlstand, Fortschritt und Freiheit regieren Repression und Angst.
Die politische Führung unter Putin beherrscht zwar die alten Techniken des Machterhalts, aber keine zur Gestaltung der Zukunft. Vorbei an Europa hat sie den Weg in die Vergangenheit und die Isolation eingeschlagen.
Mehr als genug Stoff also für eine liebevoll verzweifelte Auseinandersetzung mit Russland.

Vorverkauf ausverkauft! Tickets nur noch an der Abendkasse!


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